20/06/2024
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Frankfurt und Zürich, 14. Juni 2024 – Beyond Gravity, ein weltweit tätiges Unternehmen im Bereich der Weltraumsysteme und -komponenten, hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt, um Nachhaltigkeit in der Raumfahrtindustrie voranzutreiben. David Hierzer, Direktor für Nachhaltigkeit bei Beyond Gravity, spricht im Interview über die Herausforderungen und Fortschritte des Unternehmens in diesem wichtigen Bereich.
Ismael Flores: Hallo David, erzähl uns bitte, für welches Unternehmen du arbeitest und was das Kerngeschäft deines Unternehmens ist.
David Hierzer: Das Unternehmen ist Beyond Gravity. Wir sind Zulieferer von Strukturen für verschiedene Trägerraketen für den Weltraum, bspw. für die europäische Ariane oder die Vega Rakete. Hier konstruieren wir die zwei Halbschalen der Raketenspitze, welche in geöffnetem Zustand Satelliten in die Umlaufbahn freisetzt. Zudem sind wir führend bei diversen Satteliten-Produkten und Konstellationen. Wir arbeiten im institutionellen Bereich mit der ESA oder der NASA zusammen zusammen, aber auch die private Raumfahrt ist ein Bereich der sich sehr spannend entwickelt. Abgesehen von unserem Kerngeschäft, dem Space-Business sind wir auch in der Halbleiterindustrie aktiv.
Ismael Flores: Das klingt sehr spannend! Wie groß ist das Unternehmen und wo seid ihr überall vertreten?
David Hierzer: Wir sind weltweit tätig. In der Schweiz haben wir drei Standorte, in Wien zwei, außerdem sind wir in Schweden, Finnland, Portugal, Deutschland und den USA vertreten. Insgesamt haben wir über 1600 Mitarbeiter.
Ismael Flores: David, welche Rolle hast du in der Firma?
David Hierzer: Meine Rolle wurde vor zwei Jahren neu geschaffen, weil das Thema Nachhaltigkeit auch in der Raumfahrt und auf dem Arbeitsplatz angekommen ist. Man kann es sich nicht mehr leisten, das Thema zu ignorieren. Es ist ein sehr wichtiges Thema geworden für verschiedene Stakeholder, Investoren, Eigentümer und auch für Mitarbeiter. Wir haben in den letzten zwei Jahren viel getan und uns auf die wichtigsten Themen fokussiert.
Ismael Flores: Und du bist der Hauptverantwortliche für dieses Thema als Direktor, richtig?
David Hierzer: Ja, ich berichte an den General Counsel, der auch für Compliance zuständig ist. Das Thema Nachhaltigkeit wird von verschiedenen Abteilungen angegangen. Bei uns liegt es bei Legal und Compliance, da sich die gesetzliche Grundlage stark geändert hat und Unternehmen immer mehr Anforderungen erfüllen müssen.
Ismael Flores: Ja, das stimmt.
David Hierzer: Die Sorgfaltspflichten in der Lieferkette sind ein großes Thema. Vor 10 Jahren war das anders, da ging es mehr um die kommunikative Ebene und um grüne Imagepflege. Jetzt ist die rechtliche Situation viel strenger, und es gibt viele juristische Aspekte, die man beachten muss.
Ismael Flores: Da kann ich dir nur zustimmen. Wie du sagst, es gibt viele mögliche „Reporting lines“, also Berichtslinien, die auch in der Praxis existieren. Die Argumente, die du gebracht hast, sind absolut plausibel. Wir leben in einer Zeit, in der die Regularien mehr und komplexer werden.
David Hierzer: Ja, der General Counsel hat eine sehr wichtige Rolle. Er ist Berater des Verwaltungsrats und rechtlich verantwortlich. In Deutschland ist die Konstellation in Form des Aufsichtsrates etwas anders, aber in der Schweiz hat der Verwaltungsrat eine sehr zentrale Rolle im Unternehmen.
Ismael Flores: Richtig. Und das bringt uns zum nächsten Thema, nämlich der Frage der Berichterstattung. Seit zwei Jahren treibt ihr das Thema Nachhaltigkeit voran. Der erste Schritt, den man in diesem Zusammenhang fast immer macht, ist eine Art Ist-Analyse, um zu sehen, wo man in Sachen Nachhaltigkeit steht. Es gibt Standards wie die GRI Reporting Standards, und nach genau diesen Standards werdet ihr für 2024 den ersten Nachhaltigkeitsbericht veröffentlichen. Welches sind die wichtigsten Themen, die ihr in diesem Bericht identifiziert habt?
David Hierzer: Ich finde Nachhaltigkeitsberichte einen großen Segen für viele Sektoren. Sie bringen Unternehmen dazu, transparenter über Nachhaltigkeit zu berichten. Das vervollständigt das Bild des Unternehmens ungemein. Finanzberichte geben nur einen Teil des Bildes wieder. Unser erster Nachhaltigkeitsbericht wird Anfang Juli veröffentlicht. Wir haben eine Materialitätsanalyse gemacht und die wichtigsten Themen identifiziert: bsw. Klimawandel und Energie, Mitarbeitergesundheit und -sicherheit, Datenschutz und IT-Sicherheit, Business Conduct und die Lieferkette.
Ismael Flores: Ihr habt also diese Themen identifiziert und setzt euch in den kommenden Jahren intensiver damit auseinander. Welche Ziele habt ihr euch bereits gesetzt?
David Hierzer: Wir haben uns das Ziel gesetzt, innerhalb von drei Jahren im operativen Bereich die Netto Null bei den Treibhausgasen zu erreichen und in erneuerbare Energien zu investieren. Zudem achten wir in der Lieferkette verstärkt auf Menschenrechtsthemen.
Ismael Flores: Wir haben lange über Nachhaltigkeit auf der Erde gesprochen. Beyond Gravity ist ein Weltraumunternehmen, weshalb ich mit dir auch über Nachhaltigkeit im Weltall sprechen wollte. Ein sehr spannendes Thema, über das sich wahrscheinlich noch kaum jemand Gedanken macht. Wie sieht es damit aus?
David Hierzer: Grundsätzlich gilt für uns das Gleiche wie für viele andere Industrien. Unsere Produktion verursacht CO2-Emissionen und Treibhausgasemissionen. Wir haben dieselben Herausforderungen wie bsw. ein Automobilhersteller. Aber unsere Produkte verlassen die Erde und gehen in die Erdumlaufbahn. Da gibt es zwei Aspekte: Einerseits haben die Satelliten einen großen Nutzen für die Menschheit, wie z.B. präzisere Wettervorhersagen, Einsatze bei Umweltkatastrophen, Navigation und Sicherheit. Gleichzeitig verbraucht ein Raketenstart viel Energie und Ressourcen, und es gibt kein nachhaltiges Raketenantriebssystem.
Ismael Flores: In der Tat zwei gegensätzliche Aspekte.
David Hierzer: Ein weiteres Thema ist der Weltraumschrott. Wenn ein Satellit kaputt geht, bleibt er im All oder in der Umlaufbahn. Es gibt Projekte wie Clear Space, die versuchen, den Schrott mit Netzen wieder einzufangen. Aber das gilt nur für größere Teile, kleine Teile bleiben ein Problem.
Ismael Flores: Ja, das ist beeindruckend. Ich frage mich immer, wenn diese kleinen Teile so schnell um die Erde fliegen, sind nicht alle Raketenstarts gefährdet?
David Hierzer: Das müsste ein Experte für Umlaufbahnen genau erklären. So wie ich das verstanden habe, können aber schon kleine Teile, wenn sie mit einer gewissen Geschwindigkeit auf eine Oberfläche auftreffen einen erheblichen Schaden anrichten.
Ismael Flores: Ja, das stimmt. Das Thema Weltraumschrott und der hohe Energieverbrauch beim Raketenstart sind definitiv wichtige Themen.
David Hierzer: Allerdings. Eine weitere Herausforderung ist, dass ein defekter Satellit nicht zurück zur Erde gebracht und repariert wird. Er wird einfach deaktiviert und durch einen neuen ersetzt. Da gibt es viel Potenzial für Verbesserungen.
Ismael Flores: Gibt es konkrete Kooperationen mit anderen Unternehmen in dieser Richtung?
David Hierzer: Ja, wir sind Partner von Clear Space – wie bereits erwähnt -, einem Startup aus der Schweiz, das Weltraumschrott mit Netzen einfängt und aus der Umlaufbahn entfernt. Außerdem arbeiten wir mit unseren Kunden gemeinsam an dem großen Thema Reusability für Trägerraketen.
Ismael Flores: Super interessant. Welche Ratschläge würdest du aufstrebenden Fachleuten geben, die sich für Nachhaltigkeit in der Luft- und Raumfahrt interessieren?
David Hierzer: Generell sollte man sich nicht entmutigen lassen. Es geht nicht nur um das Thema Energie, sondern um viele verschiedene Aspekte der Nachhaltigkeit. Mein Rat ist, sich mit dem Nachhaltigkeitsmanager des Unternehmens in Verbindung zu setzen, in dem man arbeitet, und zu fragen, wie man einen Beitrag leisten kann. Fast jede Aufgabe kann einen Beitrag zum Thema Nachhaltigkeit leisten.
Ismael Flores: Super, danke, das sehen wir täglich in unserer Practice. Die letzte Frage: Was motiviert dich persönlich, in einem so herausfordernden Bereich wie der Raumfahrt zu arbeiten?
David Hierzer: Ich finde das Thema Nachhaltigkeit ungemein wichtig. Der Nachhaltigkeitsbericht bietet einen umfassenden Blick auf ein Unternehmen und ist für viele Stakeholder sehr wertvoll. Das Denken in Kreisläufen finde ich ebenso extrem wichtig, um Ressourcen effizient zu nutzen und den ökologischen Fußabdruck zu minimieren. Im Bereich der Raumfahrt gibt es noch viel Gestaltungsspielraum, und ich sehe große Chancen, eine Vorreiterrolle spielen zu können.
Ismael Flores: Das kann ich nur bestätigen. „Circular Economy“ ist ein extrem wichtiger Bereich und viele Unternehmen gehen dieses Thema bereits ganz konkret an, indem sie entsprechende Abteilungen einrichten und Talente hierzu suchen. Eine konsequent durchgezogene Circular Economy ist wie ein „boost“ für Nachhaltigkeit.
Vielen Dank für das sehr interessante Gespräch David und weiterhin viel Erfolg dir und allen, die sich diesem so wichtigen Thema widmen.
David Hierzer: Ich danke dir.
Über den Autor: Ismael Flores ist ein erfahrener Personalberater mit Schwerpunkt auf Positionen rund um das Thema Nachhaltigkeit in der DACH-Region. Er führt die Sustainability Practice bei Morgan Philips Executive Search.