17/11/2023
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Der Bundesverband Medizintechnologie führt regelmäßig Umfragen zur medizinprodukteindustrie durch. Wertvolle Insights, die wir für Sie zusammengefasst haben.
MedTech in Deutschland
Herausforderungen und Aussichten
Die Medizintechnik-Branche umfasst die Entwicklung, Herstellung und den Vertrieb von Geräten, Ausrüstungen, Software, Materialien und anderen Artikeln, die für medizinische Zwecke verwendet werden.
Dazu zählen diagnostische Geräte, therapeutische Geräte, Implantate und Prothesen, Krankenhausbedarf und -ausrüstung, Verbrauchsmaterialien, IT-Systeme, Mobilitätshilfen und Laborausstattung. Die Branche war bisher stark in Forschung und Entwicklung involviert, um neue Technologien und Produkte zu entdecken und bestehende zu verbessern.
Weltweit umfasst sie sowohl multinationale Konzerne wie mittelständische Unternehmen und kleinere Start-ups, 93% der Unternehmen in Deutschland sind KMUs. Gemäß diverser Industrieverbände und Marktanalysen beschäftigt der Sektor Millionen von Menschen weltweit.
In Deutschland gehört die Medizintechnik zu den innovativsten und am stärksten exportorientierten Branchen mit etwa 500.000 verschiedenen Medizinprodukten. Laut dem Verband der Medizintechnologie (BVMed) waren im Jahr 2023 in Deutschland etwa 250.000 Menschen in der Medizintechnologie beschäftigt und der Gesamtumsatz lag bei 38,4 Milliarden Euro mit einer Exportquote von 67%.
(Quelle: MedTech Marktpräsentation www.bvmed.de/branchenstudien, Stand 2023)
Die aktuelle Lage der Medizintechnik-Branche
Etwa 50 Prozent der befragten Mitgliedsunternehmen aus Deutschland, USA, Europa und der Schweiz beteiligten sich an der Umfrage der BVMed im August und September 2023.
- 61 Prozent dieser Unternehmen sind Hersteller, 17 Prozent Handelsunternehmen, 10 Prozent Hilfsmittel-Leistungserbringer und Homecare, 5 Prozent Zulieferer und 3 Prozent DiGa-Hersteller und Software Unternehmen.
- 61 Prozent sind B2B, 19 Prozent B2C und 20 Prozent in beiden Bereichen tätig.
Die Produktbereiche umfassen Implantate, Hilfsmittel, OP-Produkte, medizinische Geräte, Verbandmittel, Praxisbedarf, digitale Medizinprodukte, Schutzausrüstung, Desinfektionsmittel, Beatmungsprodukte, Homecare-Versorgungen, Tech Lösungen, KI und Sensorik sowie Zulieferprodukte.
Fakten und Erkenntnisse
- Die Erträge der Medizintechnik-Unternehmen gehen 2023, wie auch im Krisenjahr 2022, weiter zurück.
Dem Umsatz-Plus (4,8 Prozent zum Vorjahr) stehen stark gestiegene Logistik-, Rohstoff- und Energiepreise sowie die hohen Kosten für die MDR-Umsetzung gegenüber.
- Investitionen am Standort Deutschland gehen zurück.
Forschungsinvestitionen werden zunehmen ins Ausland verlagert. Das Innovationsklima ist, vorwiegend aufgrund der bürokratisch-administrativ aufwendigen Medical Device Regulation (Mai 2021) schlecht.
MDR – (Medical Device Regulation) und FDA - System (Food and Drug Administration) sind die regulatorischen Rahmenwerke, die die Zulassung und Überwachung von Medizinprodukten in der EU bzw. den USA regeln.
Die MDR zielt auf ein hohes Schutzniveau der Patienten und Anwender ab sowie darauf, den freien Verkehr von Medizinprodukten im EU Binnenmarkt zu ermöglichen. Sie legt strengere Anforderungen an klinische Bewertungen, Post-Marketing-Überwachung, Transparenz (durch die EU Datenbank EUDAMED) und die Rückverfolgbarkeit von Produkten fest.
Entsprechende Zertifizierungen werden von Stellen durchgeführt, die von den Mitgliedsstaaten benannt und der Europäischen Kommission überwacht werden.
Die FDA in den USA dagegen ist eine Bundesbehörde, die für die Regulierung und Überwachung von Lebensmitteln, Medikamenten, Kosmetika, Medizin- und anderen Produkten zuständig ist. Die FDA hat eigene Vorschriften für die Zulassung, die auf einem mehrstufigen System beruhen, einschließlich Pre-Market Notification, Pre-Market Approval und De Novo classification.
Die FDA hat strenge Anforderungen an die Hersteller in Bezug auf Produkttests, Herstellungspraktiken, Produktqualität und Post-Market Surveillance. Die FDA hat direkte regulatorische Autorität und führt Inspektionen und Bewertungen durch.
Beide Systeme wollen Sicherheit und Wirksamkeit von Medizinprodukten gewährleisten, aber sie tun dies durch unterschiedliche regulatorische Ansätze und Rechtsrahmen.
Hersteller, die ihre Produkte in beiden Märkten verkaufen, müssen die Anforderungen beider Systeme erfüllen.
- Forderungen nach Verbesserung der MDR
Die Absicht der MDR, die Patientensicherheit zu verbessern und den europäischen Markt für Medizinprodukte zu harmonisieren, wird von Stakeholdern gelobt. Dennoch gibt es Kritik und Forderungen nach Anpassungen, vor allem von Herstellern, Branchenverbänden und Gesundheitseinrichtungen.
Die Vereinfachung der Verfahren wird gefordert, also weniger Bürokratie und klare Verfahren, um die Markteinführung neuer Produkte zu beschleunigen.
Leitlinien sollen detailliert geklärt werden, um Missverständnisse und Inkonsistenzen bei der Interpretation zu vermeiden. Die Branche fordert längere Übergangsfristen, um den Anforderungen der MDR gerecht zu werden, insbesondere für kleinere und mittlere Unternehmen.
Unternehmen wünschen sich auch flexiblere Lösungen für die Zertifizierung, insbesondere bei Engpässen der benannten Stellen.
Angesichts des rasanten Fortschritts in der digitalen Gesundheitstechnologie wünscht sich die Branche eine flexible Regulierung, die Innovation nicht behindert. Die Hersteller drängen auf eine bessere Abstimmung mit internationalen Regulierungsrahmen, um den globalen Handel zu erleichtern.
Tendenzen
Etwa zwei Drittel der MedTech-Unternehmen rechnet in diesem Jahr mit einem besseren Umsatzergebnis in Deutschland als im Vorjahr. Das ist eine positivere Entwicklung als in den beiden Vorjahren und deutlich besser als im ersten Corona-Krisenjahr. Die Werte vor der Coronapandemie waren erheblich höher. 2018 rechneten fast vier Fünftel mit einem besseren Umsatz.
Einzelne Produktbereiche entwickeln sich allerdings sehr unterschiedlich.
Insgesamt hat sich die Branche leicht erholt, wobei kleinere und mittlere Unternehmen deutlich weniger wachsen als größere Unternehmen.
Die erwartete weltweite Umsatzentwicklung schneidet mit einem Plus von 6,4 Prozent deutlich besser als die Inlandsentwicklung ab (4,8%). Diese Tendenz verfestigt sich im Vergleich grosser – und kleiner, mittlerer Unternehmen auf globalem Niveau.
Steigende Kosten, geringere Gewinne
Aufgrund weiterer Kostensteigerungen in den Bereichen Logistik, Rohstoffe und Energie, werden geringere Gewinne in diesem Jahr erwartet. Nur 20 Prozent der MedTech-Unternehmen erwarten Gewinnsteigerungen gegenüber 2022, etwa die Hälfte rechnet mit einer Verschlechterung der Gewinnsituation.
Neben den gestiegenen Kosten werden auch der zunehmende bürokratische Aufwand, die MDR, Preisdruck durch Klinikketten und Krankenkassen, schleppende digitale Transformation und Innovation, Unsicherheit durch die geplante Krankenhausreform, unsicherere Lieferketten und umweltrechtliche Auflagen genannt.
Mehr als die Hälfte der Unternehmen sehen den Fachkräftemangel als gewinnmindernden Faktor, es fehlen professionelle Arbeitskräfte mit entsprechenden Fähigkeiten und Know-how.
Investitionen am Standort Deutschland
Deutschland galt lange als einer der führenden Wirtschaftsstandorte, gezeichnet von wirtschaftlicher Stärke (große Volkswirtschaft und starke industrielle Basis in Automobil, Maschinenbau, chemischer Industrie, Hochtechnologie), Innovation (Forschung und Entwicklung), guter Ausbildung und Fachkräften, Infrastruktur, Exportorientierung, Energiepolitik und Nachhaltigkeit (ehrgeizige Ziele), europäische und globale Integration.
Diese Stellung befindet sich in einem Transitionsprozess.
Erhöhte Gas- und Strompreise belasten insbesondere KMUs, die nicht leichtfertig die Produktion ins Ausland verlegen können.
Zudem werden Entscheidungen wie die des Standorts nicht ad hoc gefällt. Eine unkluge Energiepolitik in Verbindung mit verhängnisvollen Abhängigkeiten (vom russischen Gas) lässt sich nicht so schnell begradigen.
Mehr als ein Viertel der Unternehmen verringern ihre Investitionen in Deutschland, ein Viertel erhöht sie. Seit 2018 ist die deutsche Industrieproduktion im internationalen Vergleich zurückgegangen, insbesondere in energieintensiven Sektoren, Chemie. Die deutsche Volkswirtschaft braucht länger als andere, um sich von den Krisen der Pandemie und des Energieengpasses zu erholen.
Bei der Forschung sieht es ähnlich aus, 20 Prozent der Unternehmen verringern ihre Forschungsausgaben, 17 Prozent erhöhen sie. Bei 43 Prozent bleiben die Forschungsausgaben unverändert.
Außerhalb von Deutschland sind vor allem EU-Märkte attraktiv (76 Prozent) und die USA (51 Prozent). Darüber hinaus Großbritannien, Südamerika bzw. Brasilien und China. Lokale Vertriebsstrukturen, der regulatorische Marktzugang in Europa sowie das lokale Vergütungs-Systemen verhindern den Schritt ins Ausland.
Zahl der Beschäftigten steigt trotz Krise
Trotz der Krisenauswirkungen und dramatisch steigenden Kosten schafft die Medizintechnik-Branche in Deutschland weiter zusätzliche Arbeitsplätze. Ein Drittel der Unternehmen erhöht die Zahl der Mitarbeiter:innen, fast zwei Drittel halten die Zahl der Stellen stabil.
Die Beschäftigtenzahlen sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen.
Die Berufsaussichten für Fachkräfte in der MedTech-Branche sind äußerst gut.
Gesucht werden vor allem Ingenieur:innen, Informatiker:innen und Data Scientists, Medizintechniker:innen, lernende technische und kaufmännische Berufe, Naturwissenschaftler:innen sowie Pflegekräfte. Der hohe Wert für Data Scientists zeigt, dass datengetriebene Versorgungslösungen in der MedTech-Branche an Bedeutung gewinnen.
In allen Bereichen suchen MedTech Unternehmen in Deutschland Personal, vom Vertieb, zur Produktion, zu Marketing, Regulatory Affairs (Interessanter Beitrag zum Thema Global Government Relations and Public Affairs in Life Sciences), Qualitätsmanagement, Einkauf, Forschung und Entwicklung (Interessanter Beitrag von unserem Director Life Sciences zum Thema der aktuellen Herausforderungen der Life Sciences). Im Bereich Data Science Management werden vergleichsweise weniger gesucht, was sich mit fortschreitender Digitalisierung sicher ändern wird.
Die Auswirkungen des Fachkräftemangels sind in der Medizintechnik stark spürbar.
Die Unternehmen haben Schwierigkeiten, ausgeschriebenen Stellen adäquat und schnell zu besetzen.
MedTech und der Standort Deutschland
Eine gute Infrastruktur und gut ausgebildete Fachkräfte sowie Wissenschaftler:innen und Ingenieur:nnen sind entscheidende Faktoren. Beides gibt es in Deutschland.
Das hohe Versorgungsniveau trägt zur Nachfrage der Produkte bei.
Die Rahmenbedingungen für Reimbursement und Export sowie der Standard klinischer Forschung und Forschungsförderung werden nicht spezifisch als Stärken genannt. Das Fast-Track-Verfahren bei digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) ebenso wenig, denn die Unternehmen vermissen hier die Ausweitung auf die höheren Medizinprodukte-Klassen IIb und III. Hier stehen Patientensicherheit und Wirtschaft im Konflikt. Die Unternehmen fordern mehr Flexibilität diesbezüglich.
An erster Stelle der gesundheitspolitischen Forderungen steht gemäss der BVMed-Umfrage 2023 die Weiterentwicklung und Verbesserung des MDR-Systems.
Wichtig ist den Unternehmen zudem ein Fast-Track-Verfahren für Innovationen mit klaren Fristen sowie ein Belastungsmoratorium für Medizintechnik-Unternehmen verbunden mit einem umfassenden Bürokratieabbau.
Weitere Anforderungen der Unternehmen sind: Fachkräfte gewinnen, digitale Transformation und Datennutzung vorantreiben, Lieferketten stärken sowie die Resilienz erhöhen.
Mehr auf die Zukunft ausgerichtete Konzepte wie Investitionsprogramme für pflegeunterstützende neue Technologien oder das Schützen von Patenten oder grüne Transformation werden wenig in Betracht gezogen.
Innovation in Deutschland
Die MedTech Branche in Deutschland wird von KMUs bestimmt. Der Innovationsindex ist auf einem Tiefstwert seit 2012.
Die innovativsten Forschungsbereiche sind Kardiologie, Neurologie und Onkologie.
Das eBusiness gewinnt an Bedeutung
Digitale Vernetzung bzw. Kommunikation mit Kund:innen und anderen Zielgruppen sowie digitale Prozessoptimierungen in verschiedenen Unternehmensbereichen der MedTech wie Vertrieb, Produktion und Einkauf stehen im Vordergrund.
E-Invoicing sowie elektronische Beschaffungsmaßnahmen, eProcurement haben in der Praxis Anwendung gefunden. Ebenso weiten sich telemedizinische Dienste aus.
Fazit und Ausblick
Die Medizintechnik-Branche ist ein Aushängeschild für die deutsche Wirtschaft:
- Sie ist noch Innovationstreiber mit rund 9 Prozent des Umsatzes, die in Forschung und Entwicklung gesteckt werden.
- Sie ist ein großer Arbeitgeber mit über 250.000 Beschäftigten und 13.000 Ausbildungsplätzen in Zukunftstechnologien.
- Sie ist stark im Export und hat zahlreiche „Hidden Champions“. Der jährliche Gesamtumsatz liegt bei über 38 Milliarden Euro.
- Sie besteht zu 93 Prozent aus Mittelstand und Familienunternehmen mit Forschung und Produktion in Deutschland.
Deutschland war in der Medizintechnik Weltspitze und ist es noch. Die BVMed-Umfrage zeigt jedoch, dass der Medizintechnik-Standort Deutschland stark gefährdet ist: Forschung und Entwicklung, Innovationsfreundlichkeit und Marktzugang verlieren eindeutig an Stärke in Deutschland.
Das liegt vor allem an intrinsischen Problemen:
- Ein zu kompliziertes regulatorisches System für Medizinprodukte, das Innovationen ausbremst.
- Eine übertriebene Bürokratie und Regulierung, die KMU erstickt.
- Schleppende Digitalisierung des Gesundheitssystems und mangelnde Datennutzung.
- Unzureichende Unterstützung des Mittelstandes, dem Herzstück der deutschen Wirtschaft.
Deutschland braucht eine forschungsstarke, leistungsfähige, wirtschaftlich gesunde und international wettbewerbsfähige Medizintechnik-Branche.
Um Top-Talente, darunter Forscher:innen und Unternehmer:innen, im Land zu halten und Innovation in Deutschland voran zu bringen, benötigen wir standortfreundliche Rahmenbedingungen, ganzheitliche Ansätze.
Politik und Wirtschaft müssen im Dialog sein, um gemeinsam an einer effizienten MedTech Strategie 2030 mit einem konkreten Maßnahmen Katalog zu arbeiten.
Nur so kann der Standort Deutschland im Bereich MedTech auf Dauer Bestand haben.